Litzendorf, Brauereienlauf, Marathon

Samstag, 29. September 2018

Gertruds Marathonerlebnis in der alten Heimat

Diese Premiere „durch die Fränkische Toskana“ lockte Gertrud in ihre alte Heimat. Hier hatte vor 42 (Marathon-)Jahren ihre Laufkarriere, bei dem von ihrem Vater organisierten „Stammberglauf“  über 16 km, den man heutzutage einen Berg- oder auch Traillauf nennen würde. Zum ersten Mal war 1976 hier auch eine zweistellige Anzahl Frauen am Start. Es begann gerade erst, dass Frauen bei Läufen akzeptiert wurden. Auch  Marathonläufe waren damals noch recht selten und was ganz Besonderes. Man fuhr in Großstädte, wie Berlin oder Frankfurt und hätte die Organisatoren eines Brauereienlaufs, ob des Bierausschanks samt Wörscht und Schäuferla, auf einer so hügeligen Strecke wohl für verrückt erklärt. Und nicht im Traum daran gedacht, dass hier mal ein Marathon-Lauf stattfinden würde.

All dies ging Gertrud auf den ersten Kilometern der landschaftlich wunderschönen Strecke durch den Kopf. Jeder Meter bekannt, jahrzehntealte Trainingsstrecken wurden entzückt unter die Füße genommen, immer wissend, wie es hinter der nächsten Kurve oder nach dem nächsten Hügel weitergeht. „Jetzt geht’s kilometerlang bergab!“ rief sie einem Mitläufer zu, der das nicht glauben wollte, als nach ca. 7 km der erste längere Anstieg im Hauptsmoorwald zu Ende war, und die Bergabstrecke zur Oberjägers Marter, vor Jahrzehnten immer der anstrengende Bergaufteil der gegenläufigen Trainingsrunde, heute mal entspanntes  Laufen versprach.

Aber halt, was ist das denn? Wo kommen denn auf einmal die vielen langsamen Leute her, die fröhlich schwatzend in 3er, 4er, 5er-Gruppen den Weg regelrecht blockieren und die schnelleren Marathonläufer zu Slalom- und Zickzackkursen nötigten (nur manchmal auf höflichen Zuruf etwas Platz machten)? Es waren die 10-km Wettkämpfer, die zwar 15 min später starteten, aber die Schleife über Schammelsdorf nicht liefen - und so mussten sich die schnelleren Marathonis durch den langsamen Trimmschwanz mühsam durchkämpfen. Da hat der (nicht fränkische) Veranstalter Tri-Camp noch was zu lernen.

Noch schlimmer erwischte es die Halbmarathonläufer. Sie wurden irregeleitet, und gerade die Besten, die Spitze, mussten sage und schreibe statt 21 km deren 29 laufen! Der Siegerin aus Rosenheim sollen im Ziel die Tränen gekommen sein. Der HM wurde dann überhaupt nicht gewertet, die Preise sollen für eine Tombola werbewirksam für einen guten Zweck versteigert werden, was aber seltsam anmutet, denn es gab nur Holzmedaillen und für die Gesamtersten drei Männer und Frauen jeweils 5 Liter Bier. Das großartig in der Ausschreibung angekündigte Finisher-Geschenk war nur ein billiger Bierkrug.

Die erste Hälfte des Marathons war ganz leicht zu laufen, man sieht es auch auf dem Höhenprofil: km 20 liegt deutlich tiefer als der Start. Gertrud spürte sie kaum, und riss sich zusammen, um nicht zu schnell zu laufen und einem wohlbekannten Einbruch in der 2.Hälfte vorzubeugen. Denn da ging es diesmal aber wirklich so richtig heftig zur Sache.

Im Ziel meinten dann einige, man solle die Strecke umdrehen, aber dann kann es ja jeder, meinte Gertrud frech. Es war aber schon verdammt anstrengend, das Höhenprofil zeigt auch nicht alle Zacken - und die anzulaufenden Verpflegungsstellen … also Bierkeller haben nun mal die Eigenschaft oben am Hang zu liegen, und egal ob Brauerei Sauer in Roßdorf, Gasthaus Schiller in Wernsdorf, Wernsdorfer Keller … überall durfte sich der durstige und hungrige Läufer kurvenreich nach oben kämpfen, einen Happen kosten oder einen Schluck Bier genehmigen, um dann durch eine steile Rampe, Holperweg oder Hinterhof wieder zeitverlustig hinunter zu stolpern. Die tolle Stimmung machte das aber alles wieder wett, Musik und mehr auf der Strecke munterten die strapazierten Wettkämpfer immer wieder auf. Gertrud (und die anderen wohl auch) sehnten Tiefenellern mit der bekannten Brauerei Hönig bei km 36 herbei, als es zuvor von Melkendorf sehr zackig rauf und runter auf teils echt grobem Belag ins Ellertal hinüber ging - die Aussicht oben war fantastisch, der Kirchturm von Litzendorf nahe dem Ziel im Visier, aber zuerst war noch ansteigend Lohndorf zu durchqueren, der bergige Skulpturenweg am Hang zu bezwingen, und als Gertrud endlich am Ortsschild Tiefenellern angelangt war und dachte, das hätten wir, jetzt geht’s gleich nur noch hauptsächlich bergab, und geradeaus auf den Hönig zusteuern wollte, wurde sie erst auf eine extra Schleife rechts der Straße rauf und steil runter geschickt  - und beim Hönig - tja, nix Verpflegung an der Straße, bitteschön auch hier rauf und noch ein Stück, den halben Biergarten hoch, nach links über eine Treppe - und wie heut schon genug gehabt, ein Steilstück, an dem die Muskulatur gerne verrückt spielt, wieder hinab. Uah, aua, tut doch a weng weh, egal!

Weiter! Hügeliger als in Erinnerung der Radweg durchs Ellertal und Rätselraten an einer weiteren Stelle, kein weißer Pfeil am Boden, kein Streckenposten, und mehrere mögliche Wege, nach einer halben Minute stehenbleiben und gucken und rätseln, den breitesten genommen, der zum Glück richtig war. Auch hier darf der Veranstalter gerne noch lernen und, es könnte auch mal regnen, vielleicht doch besser wasserfeste und staubresistente Markierungen anbringen, wenn denn schon zu wenig Streckenposten da sind…Egal, weiter!! Nimmer weit … aber die Kilometermarkierung kann hier auch nicht stimmen, das sagten die anderen dann auch, auch egal, Gas geben, was die Beine noch hergeben und sich auf die angekündigte Zielverpflegung freuen, denn in der Ausschreibung stand: „Im Ziel angekommen wartet neben unseren regionalen Bierschätzen auch frisches Wasser, Mineralgetränke, alkoholfreies BierGebäck und Obst auf dich“. Prima, dachte Gertrud, dann versäumst du nicht viel, wenn du unterwegs nicht alle Brauereien durchprobierst. Aber es gab dann am Zielverpflegungsstand nur alkoholfreies Bier von keiner der angelaufenen Brauereien, schade - enttäuschte Erwartungen sind keine gute Werbung. Der Veranstalter möge das nächste Mal weniger dick auftragen und auch das Preis-Leistungsverhältnis etwas verbessern. Ein Finisher-Buffet mit regionalen Spezialitäten, die man im Ziel glücklich und  in Ruhe genießen darf, täte dem Charakter des Laufes zusätzlich gut und wäre für die Höhe des Startgeldes angemessen.

Fazit: Eine wunderschöne, aber schwere, sehr typisch Fränkische Strecke, ganz bestimmt nicht zu vergleichen mit dem Fränkische Schweiz oder auch dem leichter empfundenen Obermain-Marathon. Tolle Stimmung in den Dörfern, gut für Auswärtige zum Kennenlernen der „Fränkischen Toskana“ und ihrer regionalen Genüsse.

Gertrud freute sich über Platz 4 bei den Frauen gesamt gegen die deutlich jüngere Konkurrenz.

[Gertrud]

selbst bei der Siegerehrung (hier AK55 mit Gertrud) ist alles auf Bier getrimmt;

eigenes Foto

Höhenprofil des Marathons